Interview: „Multitasking ist ein Irrglaube!“

Veröffentlicht am 08.06.2021 von dpa

Eine E-Mail an die Kundin schreiben, nebenbei eine Nachfrage des Kollegen im internen Chat beantworten und das Meeting in Outlook verschieben: Vermeintlich schaffen wir im Job mehr, wenn wir Dinge gleichzeitig erledigen.

Der Business-Coach Mathias Fischedick hält Multitasking für einen Mythos. Im dpa-Interview erklärt der Buchautor („Mehr schaffen, ohne geschafft zu sein“), wie wir unser Arbeitspensum ganz ohne Multitasking schneller und fehlerfreier bewältigen können.

Sie sagen, Multitasking sei ein Mythos - warum? Was machen Berufstätige damit falsch?

Dass Multitasking funktioniert, ist ein Irrglaube! Unser Gehirn kann immer nur eine bewusste Tätigkeit gleichzeitig ausführen. Wenn Sie versuchen, beim Telefonieren gleichzeitig eine E-Mail zu beantworten, springt in Wirklichkeit Ihre Aufmerksamkeit immer hin und her zwischen Mail und Telefonat. Sie erledigen also nicht beides parallel, sondern es ist ein schneller Wechsel zwischen beiden Tätigkeiten.

Jeder dieser unzähligen Aufmerksamkeitssprünge kostet Energie und auch Zeit.

Was sind typische Aufgaben im Job, von denen wir denken, dass wir sie gleichzeitig erledigen können?

Eine Mail zu schreiben und gleichzeitig ein Telefonat zu führen, ist ein typischer Fall aus dem Arbeitsalltag. Wir glauben, dass wir mal eben beides gleichzeitig erledigen können. Jeder, der es schon einmal versucht hat und dem Anrufer halbwegs aufmerksam zugehört hat, wird im Anschluss festgestellt haben, dass er seine gleichzeitig geschriebene Mail noch mal überarbeiten muss, da Dinge darin nicht auf den Punkt gebracht sind, Teile fehlen oder es einen Haufen von Tippfehlern gibt.

Wenn wir uns dagegen auf das Schreiben fokussieren, hören wir dem Anrufer nicht mehr richtig zu. Das ist zum einen respektlos und zum anderen können wir uns nachher nicht mehr an alles erinnern, was unser Gesprächspartner gesagt hat. Dadurch müssen wir später nachfragen, setzen die falschen Dinge um oder vergessen, besprochene Aufgaben zu erledigen. All das kostet uns mehr Zeit, als Mail und Telefonat nacheinander zu erledigen.

Aber gibt es nicht auch Situationen, in denen Multitasking unerlässlich ist?

Echtes Multitasking betreiben wir zum Beispiel bei der Arbeit, wenn wir das Zehnfingersystem beherrschen und im wahrsten Sinne des Wortes blind schreiben können. Dadurch können wir uns voll und ganz auf den Inhalt des Textes konzentrieren, den wir verfassen, und sind nicht zusätzlich noch mit der Suche nach den richtigen Tasten beschäftigt. Das funktioniert aber nur, weil das Tippen wirklich unbewusst ablaufen kann.

Okay, gleichzeitig geht also nur selten. Welche drei Regeln sollte man stattdessen befolgen, um das Arbeitspensum zu schaffen?

Wenig Ablenkung, klare Struktur und regelmäßige Pausen sind für mich die wichtigsten Faktoren, um möglichst viel zu schaffen. Wir werden in der heutigen digitalen Zeit zu sehr durch ständig eingehende Mails, Nachrichten, Anrufe und so weiter abgelenkt.

Studien haben gezeigt, dass wir nach der Ablenkung durch eine Nachricht auf unserem Handy ganze acht Minuten brauchen, um mit unserem Fokus wieder voll bei der Sache zu sein, mit der wir uns zuvor beschäftigt haben. Dadurch kommen wir nicht so schnell mit unserer Arbeit voran, wie wir könnten.

Deshalb ist mein Tipp: Möglichst Störquellen ausschalten. Das heißt, das Handy auf stumm schalten und am besten mit dem Display nach unten auf den Tisch legen, damit wir nicht doch im Augenwinkel sehen, dass eine neue Nachricht eingegangen ist. Genauso empfiehlt es sich, das Mailprogramm so einzustellen, dass neue Nachrichten nicht automatisch abgerufen werden, sondern erst auf Knopfdruck. Dadurch entscheiden wir selbst, wann wir bereit sind für neue elektronische Post.

Wie gehen Berufstätige ihre Pausen am besten an?

Bei allem Leistungsdruck vergessen wir zu oft, eine Pause zu machen. Kein Leistungssportler ist auf Dauer erfolgreich, wenn er nicht regelmäßig trainingsfreie Zeiten einplant. Wir dagegen ackern durchgehend wie bei einem nicht enden wollenden Marathon. Dadurch geht unsere Leistung auf Dauer immer mehr in den Keller.

Deshalb mein Tipp: Machen Sie alle 90 Minuten zehn bis 20 Minuten Pause. Und damit meine ich eine echte Pause. Wenn Sie in dieser Zeit private Nachrichten auf dem Handy lesen, dann kommt Ihr Gehirn nicht zur Ruhe. Die besseren Alternativen für eine Pausenbeschäftigung sind für mich zum Beispiel ein kurzer Spaziergang, das bewusste Essen eines kleinen Snacks, ein paar Fitnessübungen, etwas Yoga, Musik hören oder Tanzen. Das kann man im Homeoffice besonders gut, da man ja nicht beobachtet wird.

Was auch schnell neue Kraft bringt, sind Powernaps von 15 bis 20 Minuten. Wenn man nicht zu Hause ist, geht das auch gut im Sitzen im eigenen Auto auf dem Firmenparkplatz. Ich kenne auch Menschen, die im Büro eine Yogamatte haben und sich nach der Mittagspause für ein paar Minuten für ein Nickerchen unter den Schreibtisch legen.

Wie schützt man sich am besten vor Ablenkungen, die einen immer wieder aus einer Aufgabe reißen?

Jeder kennt sich selbst am besten und weiß, was verführerische Ablenkungen sind. Seien es WhatsApp-Nachrichten, eine neue Mail oder der Kollege, der mal kurz vorbeischaut. Wenn ich weiß, was mich leicht aus der Arbeit reißt, dann kann ich entsprechend vorbeugen.

Wie findet man nach einer unvermeidbaren Ablenkung am schnellsten wieder zurück in die Konzentration?

Damit man den Kopf wirklich wieder frei hat für die ursprüngliche Tätigkeit, sollte man die neuen Informationen und Eindrücke, die durch den störenden Anruf kamen, erstmal verarbeiten. Zum Beispiel, indem man direkt das erledigt, was sich aus dem Anruf ergeben hat. Das empfiehlt sich allerdings nur bei kleineren Aufgaben, wenn es also beispielsweise darum geht, eben schnell ein Dokument oder eine Mail weiterzuleiten.

Bei einem umfangreicheren Pensum, das sich aus dem Telefonat ergibt, ist mein Tipp, sich eine Notiz zu machen, was genau später zu tun ist. Durch dieses Externalisieren und strukturierte Aufschreiben der Gedanken ist der Kopf dann wieder frei, um mit der Tätigkeit fortzufahren, bei der man zuvor unterbrochen worden war. (dpa)