Neufassung § 5 Abs. 1a EFZG
Sozialversicherungsrechtliche Neuerungen
Die Einführung der obligatorischen elektronischen Arbeitsbescheinigung führt dazu, dass zunächst die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen (also Krankenhäuser) die von ihnen festgestellten Arbeitsunfähigkeitsdaten eines Arbeitnehmers an die gesetzliche Krankenkasse elektronisch zu übermitteln haben. Die Krankenkasse erstellt dann ihrerseits nach Eingang der Arbeitsunfähigkeitszeiten eine Meldung zum Abruf für den Arbeitgeber, die insbesondere den Namen des Beschäftigten, den Beginn und das Ende der Arbeitsunfähigkeit, das Datum der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit und die Kennzeichnung als Erst- oder Folgemeldung enthält. Der Arbeitgeber ruft dann die entsprechenden Daten ab und erhält Angaben zum Beginn der Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtlichen Dauer, dem Zeitpunkt der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, Angaben dazu, ob es sich um eine Arbeitsunfähigkeit, einen Arbeitsunfall oder einen sonstigen Unfall handelt und bei einer Krankenhausbehandlung den Aufnahmetag und die voraussichtliche Dauer der Krankenhausbescheinigung sowie Angaben zur Erst- bzw. Folgebescheinigung. Bedauerlicherweise erfährt der Arbeitgeber im Unterschied zur bisherigen schriftlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung demnach künftig nicht mehr, welcher Arzt mit welcher Fachrichtung die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt hat.
Dieses Verfahren hat zur Folge, dass künftig durch die Personalverwaltung bzw. die Entgeltabrechnung proaktiv Daten zur Arbeitsunfähigkeit abgerufen werden müssen.
Arbeitsrechtliche Auswirkungen - Feststellungspflicht des Arbeitnehmers
Die sozialversicherungsrechtlichen Änderungen der gesetzlichen Regelungen sind verzahnt mit Änderungen im arbeitsrechtlichen Kontext. Denn mit der Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist eine Änderung der Regelungen in § 5 EFZG verbunden. Nach der bisherigen alten Fassung des § 5 Absatz 1 S. 2 EFZG hatte jeder Arbeitnehmer (auch derzeit noch) grundsätzlich eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer vorzulegen. Diese Nachweispflicht gilt auch bei der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit. Diese Regelungen sind mit Wirkung ab dem 01.01.2023 geändert. Nach dem dann geltenden § 5 Abs. 1a EFZG wird die bisherige Nachweispflicht des Arbeitnehmers mittels einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ersetzt durch die Verpflichtung des Arbeitnehmers, die Arbeitsunfähigkeit beim Arzt feststellen zu lassen. Diese Verpflichtung besteht (wie die bisherige Verpflichtung zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeit) erst ab dem auf den dritten Tag der Arbeitsunfähigkeit folgenden ersten Arbeitstag. Der Mitarbeiter muss sich darüber hinaus lediglich eine ordnungsgemäße Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch den Arzt aushändigen lassen. Diese muss er dem Arbeitgeber aber nicht vorlegen. Die Bescheinigung soll nach der Gesetzesbegründung dem Arbeitnehmer lediglich insbesondere in sogenannten Störfällen (etwa einer fehlgeschlagenen Übermittlung im elektronischen Verfahren) dazu dienen, das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung nach § 3 EFZG außerprozessualen oder prozessual nachzuweisen. Unberührt bleibt die Verpflichtung des Arbeitnehmers, die Arbeitsunfähigkeit unverzüglich anzuzeigen.
Weiterhin Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform?
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Beschäftigten in Abweichung zu den neuen gesetzlichen Regelungen verpflichtet werden können, gegebenenfalls auch nur übergangsweise, weiterhin Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in Form des „gelben Zettels“ vorzulegen.
Das ist nicht der Fall. Der Arbeitgeber kann mit dem Arbeitnehmer nicht wirksam vereinbaren, dass der Arbeitnehmer auch nach der obligatorischen Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom Arbeitnehmer wie bisher erhält. Denn gemäß § 12 EFZG kann von den Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes nicht zulasten des Arbeitnehmers abgewichen werden. Unter anderem ist deshalb eine von § 5 EFZG abweichende arbeitsvertragliche Regelung nicht möglich. Die Verpflichtung des Arbeitnehmers, entgegen der neuen gesetzlichen Regelung des § 5 Abs. 1a EFZG weiter die Arbeitsunfähigkeit durch Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachweisen zu müssen, würde eine nachteilige Abweichung von den gesetzlichen Regelungen zulasten des Arbeitnehmers darstellen. Deshalb ist es auch nicht möglich, eine solche Regelung wirksam in einen Arbeitsvertrag, eine Betriebsvereinbarung oder einen Tarifvertrag aufzunehmen. Entsprechende Regelungen wären aufgrund eines Verstoßes gegen § 12 EFZG i.V.m. § 134 BGB unwirksam.
Die Nachweispflicht wird allerdings nicht bei allen Arbeitnehmern durch die Feststellungspflicht abgelöst. Alle Arbeitnehmer, die nicht unter den persönlichen Geltungsbereich der neuen Regelung fallen, müssen weiter dem Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papier vorlegen. Das betrifft insbesondere privatversicherte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Demgegenüber müssen die Arbeitnehmer, für die diese Vorschrift gelten wird (insbesondere alle gesetzlich Versicherten), zwar eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom Arzt erhalten, diese dem Arbeitgeber aber nicht vorliegen. Damit entsteht ab dem 01.01.2023 eine Art Zweiklassengesellschaft.
Pflicht zur Anzeige der Arbeitsunfähigkeit
Unverändert hat der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer gegenüber dem Arbeitgeber nach § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG unverzüglich anzuzeigen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als ärztlich festgestellt bzw. nachgewiesen, ist jeder Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber auch die weitere Arbeitsunfähigkeit und deren weiteren voraussichtliche Dauer anzuzeigen.
Die Bedeutung dieser Anzeigepflicht für die Arbeitnehmer, die dem Arbeitgeber nun keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mehr vorlegen müssen, ist jetzt allerdings deutlich erhöht. Nur dann, wenn der Arbeitgeber von der Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtlicher Dauer durch den Arbeitnehmer erfährt, kann er sich an dessen gesetzliche Krankenkasse wenden, um die dort vorhandenen Daten abzurufen. In der Vergangenheit hatte der Arbeitgeber bei einer Arbeitsunfähigkeit trotz des Verstoßes gegen diese Anzeigepflicht Kenntnis erhalten, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber später die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt hatte.
Leistungsverweigerungsrecht?
Ein Arbeitgeber ist nach derzeitiger Rechtslage nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG berechtigt, die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu verweigern, solange der Arbeitnehmer die von ihm nach § 5 Abs. 1 EFZG vorzulegende ärztliche Bescheinigung nicht vorlegt. Da Arbeitnehmer nach der obligatorischen Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung regelmäßig keine Nachweispflicht nach § 5 Abs. 1 EFZG mehr haben, kann demgegenüber dieses Leistungsverweigerungsrecht möglicherweise nicht eingreifen. Ob eine entsprechende Anwendung der gesetzlichen Regelung in § 7 EFZG möglich ist, kann zumindest bezweifelt werden. Denn der Wortlaut der gesetzlichen Regelung bezieht sich nicht auf die den Arbeitnehmer treffende Feststellungspflicht. Es bleibt abzuwarten, wie die Gerichte sich hierzu positionieren. Der Arbeitgeber sollte deshalb in jedem Fall das Arbeitsentgelt für Tage, an denen der Arbeitnehmer fehlt, nicht zahlen, wenn dem Arbeitgeber für das Fehlen ein Grund nicht bekannt ist. Kommt der Arbeitnehmer seiner Feststellungspflicht nach und erhält der Arbeitgeber deshalb von der Krankenkasse im Zusammenhang mit der Arbeitsunfähigkeit später Kenntnis von der Arbeitsunfähigkeit, kann das Arbeitsentgelt nachgezahlt werden.
Für Arbeitnehmer, die nicht Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung sind, verbleibt es auf jeden Fall bei dem gesetzlich geregelten Leistungsverweigerungsrecht, da diese Personengruppe weiterhin die Nachweispflicht aus § 5 Abs. 1 EFZG trifft.
Beteiligungsrechte des Betriebsrates
Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bezüglich der Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer scheiden aus, soweit eine gesetzliche Regelung besteht. Derartige gesetzliche Vorschriften sind hier in § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG gegeben. Eine für die Praxis wichtige Ausnahme ergibt sich aber aus § 5 Abs. 1 S. 3 EFZG für den Fall einer weiterbestehenden Nachweispflicht und nach § 5 Abs. 1a S. 2 EFZG i.V.m. § 5 Abs. 1 S. 3 EFZG für die Feststellungspflicht. Danach ist der Arbeitgeber berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung früher zu verlangen, als dies in § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG vorgesehen ist. Wenn der Arbeitgeber von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zu beachten. Das gilt ausnahmsweise aber und allerdings dann nicht, wenn es sich nicht um einen kollektiven Tatbestand handelt, was dann der Fall ist, wenn der Arbeitgeber von seinem Recht, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung oder eben jetzt neu die Feststellung früher zu verlangen, nur in einem konkreten Fall verlangt. Für die Praxis bedeutet das, dass zukünftig in entsprechenden Betriebsvereinbarungen zwischen der Feststellungspflicht und der Nachweispflicht hinsichtlich der persönlichen Geltungsbereiche unterschieden werden muss.
Umsetzung der Neuregelungen
Wenn die bisherigen Regelungen im Unternehmen und Betrieb den neuen gesetzlichen Bestimmungen nicht entsprechen, müssen diese angepasst werden. Das gilt insbesondere für Arbeitsverträge und Betriebsvereinbarungen aber möglicherweise auch für Betriebsordnungen und vergleichbare Regelungen. Insgesamt müssen die technischen Voraussetzungen zur Umsetzung der neuen Regelungen geschaffen werden.
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