Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse: Finanzieller Ruin für den Arbeitgeber! Risiken und Notfallmaßnahmen

Veröffentlicht am 03.05.2021 von Dr. Ulrich Hörl, Rechtsanwalt - Kanzlei Dreher + Partner

Eine kleine Gesetzesänderung im Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) hat dafür gesorgt, dass Tausende von geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen plötzlich sozialversicherungspflichtig
werden. Die Zeche zahlt alleine der Arbeitgeber, es sei denn, er sorgt vor.

Herr Dr. Hörl, die Überschrift wirkt doch sehr plakativ. Ist das nicht etwas dick aufgetragen? Schwer vorstellbar ist, dass der Arbeitgeber in einen finanziellen Ruin kommen kann, wenn er Mitarbeiter geringfügig beschäftigt, d. h. auf 450-Euro-Basis – warum bestehen hier Risiken?

Viele Mitarbeiter, die geringfügig beschäftigt sind, haben überhaupt keinen schriftlichen Arbeitsvertrag oder einen solchen, in welchem es lediglich heißt, dass der monatliche Verdienst 450 Euro nicht übersteigen darf. Eine derartige Vertragsgestaltung wird den Bedürfnissen des Arbeitslebens gerecht, nicht aber der Vorstellung des Gesetzgebers. Denken Sie an eine Bedienung in der Gastronomie. Ein Beschäftigungsbedarf besteht dann, wenn Gäste da sind, also sich z. B. für Familienfeste angemeldet haben oder bei schönem Wetter die Biergärten voll sind. An diesen Tagen werden die Bedienungen zum Teil zehn Stunden eingesetzt, an anderen Tagen überhaupt nicht. Das gilt natürlich für andere Branchen in gleichem Maße. Die Mitarbeiter werden je nach Arbeitsanfall und Arbeitsbedarf abgerufen. Hier genau liegt das Problem. § 12 TzBfG wurde nämlich im Dezember 2018 geändert. Gleich geblieben ist die Regelung, in der es heißt, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbaren dürfen, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat. Gleich geblieben ist auch die Regelung, dass die Vereinbarung zwingend eine bestimmte Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit festlegen muss. Wenn die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht festgelegt ist, gilt eine Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart. Diese Regelung ist neu. Bisher galt bei einer fehlenden Vereinbarung zur wöchentlichen Arbeitszeit eine solche von 10 Stunden als vereinbart.

Heißt das, dass dann, wenn eine wöchentliche Arbeitszeit nicht ausdrücklich vereinbart wurde, der Mitarbeiter 20 Stunden wöchentlich eingesetzt werden muss?

Ja, dem Grunde nach heißt es das. Der Mitarbeiter muss zwar keine 20 Stunden pro Woche eingesetzt, wohl aber für diese Zeit bezahlt werden. Fordert der Arbeitgeber die vom Gesetzgeber vorgegebenen 20 Wochenarbeitsstunden nicht vom Mitarbeiter ein, befindet sich der Arbeitgeber mit seiner Leistung in Verzug. 20 Wochenarbeitsstunden entsprechen 86,67 Monatsarbeitsstunden. Der gesetzliche Mindestlohn beläuft sich derzeit auf 9,19 Euro / Stunde. Das bedeutet, dass ein Mitarbeiter, der auf Abruf beschäftigt wird, ohne dass die wöchentliche Arbeitszeit festgelegt wurde, einen Vergütungsanspruch von 796,50 Euro brutto / Monat hat. Bis zum Jahr 2018 gab es dieses Problem nicht. Bei vereinbarten 10 Wochenarbeitsstunden fielen 43,33 Monatsarbeitsstunden an. Unter Zugrundelegung des Mindestlohnes von 9,19 Euro/Std. lag die Monatsvergütung bei 398,20 Euro.

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Besteht in der Verpflichtung zur Lohnzahlung das wesentliche Risiko des Arbeitgebers?

Die Verpflichtung zur Zahlung dieses Lohns ist die eine Sache. Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse sind sozialversicherungsfrei, allerdings nur bis zur Grenze von 450 Euro / Monat. Verdient der Arbeitnehmer auch nur einen Euro mehr, wird das gesamte Beschäftigungsverhältnis sozialversicherungspflichtig. Ganz grob belaufen sich die Sozialversicherungsbeiträge auf 40 % der Bruttovergütung. Bei 796,50 Euro bezahlt der Arbeitgeber also ca. 320 Euro Sozialversicherungsbeiträge pro Monat. Im Sozialgesetzbuch gibt es eine Vorschrift, aus der sich ergibt, dass der Arbeitgeber rückwirkend vom Arbeitnehmer keine Sozialversicherungsbeiträge einfordern darf. Der Arbeitgeber bezahlt also die Sozialversicherungsbeiträge und darüber hinaus die Arbeitsvergütung, zusammen also über 1.100 Euro / Monat und nicht lediglich die gewünschten 450 Euro. Das sind etwa 670 Euro mehr, als der Arbeitgeber tatsächlich bezahlen möchte. Stellen Sie sich vor, Sie haben nur eine mittelgroße Gastronomie mit zehn Aushilfen, dann sind das pro Monat deutlich mehr als 6000 Euro, die zusätzlich aufgebracht werden müssen.

Welche Abhilfemöglichkeiten gibt es? Kann sich der Arbeitgeber schützen?

Hier hat die Politik der Wirtschaft nichts Gutes getan. Es bleibt tatsächlich nichts anderes übrig, als zwingend mit allen Mitarbeitern, die auf Abruf arbeiten, insbesondere geringfügig beschäftigt sind, eine wöchentliche Arbeitszeit zu vereinbaren. Um ein Mindestmaß an Flexibilität zu erzielen, darf eine Mindestarbeitszeit vereinbart werden, die bis zu 25 Prozent erhöht werden darf. Bei einem Mindestlohn von 9,19 Euro dürfte ein Arbeitnehmer maximal 48 Stunden im Monat arbeiten. Das sind ca. 11 Stunden pro Woche. Man könnte als vereinbaren, dass der Mitarbeiter verpflichtet ist, wöchentlich mindestens 8,25 Stunden zu arbeiten und er sich darüber hinaus verpflichtet, Mehrarbeit von 2,75 Stunden pro Woche zu leisten. Umgekehrt gibt es aber auch die Möglichkeit, eine Höchstarbeitszeit zu vereinbaren, nämlich z. B. 11 Stunden pro Woche, von der dann nach unten bis zu 20 Prozent abgewichen werden kann. Das Problem bleibt immer das gleiche. Der Arbeitgeber ist weniger flexibel im Einsatz seiner Mitarbeiter.

Darf von den Vorgaben des Gesetzes abgewichen werden und können nicht Arbeitgeber und Arbeitnehmer einfach stillschweigend so arbeiten, wie sie es für richtig erachten?

Nein, die gesetzliche Vorschrift ist zwingend. Die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen ist auch eine Straftat, die mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe geahndet wird. Als Geldstrafe bezahlt der Arbeitgeber schnell das noch einmal, was er an Sozialversicherungsbeiträgen zu entrichten hat.

Was empfehlen Sie den Arbeitgebern?

Arbeitgeber, die bisher noch keine schriftlichen Arbeitsverträge abgeschlossen haben, müssen zwingend so schnell als möglich diesen Mangel beseitigen und eine wöchentliche Arbeitszeit vereinbaren. Die Stundenzahl muss zwingend so bemessen werden, dass unter Einschluss aller Nebenleistungen, die auch hauptamtliche Mitarbeiter erhalten, wie z. B. Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld, die 450-Euro-Grenze trotzdem nicht überschritten wird. Arbeitgeber dürfen nämlich Teilzeitmitarbeiter, egal, in welchem Umfang sie eingesetzt werden, nicht ohne Grund schlechter behandeln, als Vollzeitmitarbeiter.

 

 

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