Jeder gekündigte Arbeitnehmer hat Anspruch auf eine Abfindung – oder?

Veröffentlicht am 28.04.2021 von Dr. Jan Schöll - Rechtsanwalt Kanzlei Dreher + Partner

Herr Dr. Schöll, trifft es zu, dass jeder gekündigte Arbeitnehmer Anspruch auf eine Abfindung hat?
Die Antwort ist ganz klar: Nein. Die Vorstellung, dass jeder gekündigte Arbeitnehmer eine Abfindung erhält, hält sich gleichwohl hartnäckig vor allem in sozialen Netzwerken. Dadurch wird der Mythos aber nicht richtig.

Was ist denn eigentlich eine Abfindung?
Eine Abfindung ist eine Einmalzahlung des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer, die für den Verlust des Arbeitsplatzes bezahlt wird.

Wenn es keinen Anspruch auf eine Abfindung gibt, warum werden dann in der Praxis so viele Abfindungen bezahlt?
Zunächst ist es zutreffend, dass laut Statistiken ca. 90 Prozent aller Kündigungsverfahren gegen Zahlung einer Abfindung enden. In der Regel handelt es sich dabei um freiwillige Angebote des Arbeitgebers. Diese Freiwilligkeit ist in der Praxis sehr eingeschränkt. Das liegt an dem Kündigungsschutzgesetz. Denn soweit das Kündigungsschutzgesetz auf ein Arbeitsverhältnis Anwendung findet, kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nicht mehr grundlos beenden. Seine Kündigung muss sozial gerechtfertigt sein. Die Anforderungen dafür sind sehr hoch. Ein Arbeitnehmer kann sich mit einer Klage gegen eine solche Kündigung
zur Wehr setzen. Das Arbeitsgericht prüft dann im Sinne einer Alles-oder-Nichts-Entscheidung, ob die Kündigung wirksam ist und das Arbeitsverhältnis beendet wird oder ob die Kündigung unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis fortbesteht. Da in der Praxis oftmals eine Kündigung ohne Grund ausgesprochen wird, kann der Arbeitgeber nur zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses gelangen, wenn er sich den fehlenden Kündigungsgrund „erkauft“. Dieses Erkaufen geschieht dann durch ein freiwilliges Abfindungsangebot.

Wann findet das Kündigungsschutzgesetz auf ein Arbeitsverhältnis denn überhaupt Anwendung?
Die Anwendbarkeit dieses Gesetzes hängt von zwei Voraussetzungen ab. Das Arbeitsverhältnis muss länger als sechs Monate bestehen und der Arbeitgeber
muss mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigen. Die Zählweise dieser Betriebsgröße ist allerdings etwas kompliziert, weil der Gesetzgeber nicht nach „Köpfen“, sondern nach der Arbeitszeit der beschäftigen Arbeitnehmer zählt. Nicht jeder im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer zählt deshalb mit 1,0.

Gibt es denn auch Ausnahmen, nach denen ich als Arbeitnehmer doch eine Abfindung beanspruchen kann?
Ja, solche Ausnahmen gibt es. Existiert im Betrieb ein Betriebsrat und führt der Arbeitgeber eine Betriebsänderung durch, etwa weil er einen Teil seines Betriebes auflöst, kann der Betriebsrat über einen Sozialplan Abfindungen aushandeln, auf die jeder von der Betriebsänderung betroffene Arbeitnehmer dann einen Anspruch hat. Eine andere Ausnahme betrifft den etwas komplizierteren Fall eines Auflösungsantrages, der aber voraussetzt, dass das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet und die Kündigung nicht wirksam ist. Unter bestimmten Umständen kann der Arbeitgeber trotzdem die Auflösung des Arbeitsverhältnisses beantragen. In diesem Fall muss das Arbeitsgericht aber eine Zwangsabfindung festsetzen.

Trifft es zu, dass ich als Arbeitnehmer immer Nachteile beim Bezug des Arbeitslosengeldes erfahre, wenn ich eine Abfindung erhalte?
Auch diese Frage erweist sich als immer gern wiederholter, aber falscher Mythos. Unter bestimmten Umständen kann zwar sowohl eine Sperrfrist beim Bezug des Arbeitslosengeldes, als auch eine Anrechnung der Abfindung auf das Arbeitslosengeld eintreten. Wer aber die Kündigungsfrist einhält, muss nicht mit einer Anrechnung der Abfindung auf das Arbeitslosengeld rechnen. Wer unverschuldet gekündigt wird, etwa aus betriebsbedingten oder krankheitsbedingten Gründen, und dann im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens vor dem Arbeitsgericht eine Abfindung aushandelt, muss ebenfalls nicht mit Nachteilen rechnen. Unter bestimmten Umständen kann ein Arbeitnehmer auch über eine Aufhebungsvereinbarung eine Abfindung aushandeln, ohne dass sich dies
nachteilhaft auf das Arbeitslosengeld auswirkt. Diese Fälle sind allerdings kompliziert und ein Arbeitnehmer ist gut beraten, sich vor Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung genauestens darüber zu informieren.

Hat es irgendeinen Vorteil, dass bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine zusätzliche, freie Zahlung des Arbeitgebers nicht als Bruttogehalt, sondern als Abfindung vereinbart wird?
In der Tat. Denn die Abfindung unterliegt nicht den Beiträgen zur Sozialversicherung. Sie ist nur steuerpflichtig. In der Regel bleibt deshalb von einer Abfindung deutlich mehr übrig als von einem Bruttogehalt. Wer jetzt aber auf die Idee kommt, sozialversicherungspflichtiges Entgelt wie etwa eine Urlaubsabgeltung oder eine Überstundenvergütung in eine Abfindung umzuwandeln, um Sozialversicherungsbeträge einzusparen und damit ein höheres netto zu erhalten, der ist schlecht beraten. Denn eine solche Umwandlung ist nicht nur unzulässig, sie führt auch zu einer Strafbarkeit des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers.

 

Sie haben Fragen?
Kontaktieren Sie uns gerne.

Kanzlei Dreher + Partner
Parkstraße 40
88212 Ravensburg

Tel 0751 7687 9140

www.dreher-partner.de