Mindestlohn – kann ein Arbeitnehmer überhaupt wirksam auf Ansprüche auf den Mindestlohn verzichten?

Veröffentlicht am 03.09.2021 von Dr. Jan Schöll, Rechtsanwalt - Kanzlei Dreher + Partner

Seit dem Jahr 2014 gibt es das Mindestlohngesetz (MiLoG). Es regelt einen deutschlandweiten allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn für alle Arbeitnehmer (und auch für bestimmte Praktikantengruppen), der seit 01.01.2021 € 9,50 brutto pro Stunde beträgt.  

Immer wieder gibt es in der Praxis Streit darüber, ob Arbeitgeber den Mindestlohn tatsächlich bezahlen. Dabei geht es typischerweise nicht um die einfach klärbaren Fälle, in denen der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen Lohn unterhalb von € 9,50 brutto pro Stunde bezahlt. Vielmehr handelt es sich um die Fälle, in denen der Arbeitnehmer zwar nach dem vereinbarten Vertrag pro Stunde € 9,50 brutto erhält, tatsächlich aber viel mehr Stunden leistet (Mehrarbeit), die nicht vergütet wird. In einem solchen Fall wird von den Gerichten der Monatslohn durch die tatsächlich geleisteten Stunden pro Monat dividiert. Dann ergibt sich oft ein tatsächlicher Stundensatz, der unterhalb des gesetzlich geschuldeten Mindestlohnes liegt. Ähnliches kann sich dadurch ergeben, dass ein Arbeitgeber von dem Mindestlohn bestimmte Kosten in Abzug bringt, obgleich ihm dazu die Befugnis fehlt und dadurch der Mindestlohn wieder unterschritten wird. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn der Arbeitgeber verpflichtet wäre, auf seine Kosten die Berufskleidung zu stellen, dem Arbeitnehmer jedoch hierfür Kosten in Rechnung stellt oder beispielsweise für die Berufskleidung Reinigungskosten in Abzug bringt. Unter welchen Umständen der Arbeitgeber berechtigt ist, solche Kosten in Abzug zu bringen, ist nicht Gegenstand dieses Beitrags. 

Wird – gleich aus welchen Gründen – der Mindestlohn unterschritten, kann der Arbeitnehmer die entsprechende Differenz von dem Arbeitgeber verlangen. Er kann auch die Differenz gerichtlich einklagen, falls der Arbeitgeber der außergerichtlichen Aufforderung nicht nachkommt.  

Der Arbeitgeber darf den gesetzlichen Mindestlohn unter keinen Umständen unterschreiten.

Macht der Arbeitnehmer geltend, der Mindestlohn sei unterschritten, kommt es vor einer Klageerhebung oftmals zu außergerichtlichen Verhandlungen. Sind solche außergerichtlichen Verhandlungen erfolgreich, werden die Parteien in aller Regel eine entsprechende (schriftliche) Vereinbarung treffen, die letztlich einen Kompromiss darstellt. Der Arbeitgeber wird einen Teil des geltend gemachten Mindestlohns bezahlen. Der Arbeitnehmer wird auf einen anderen Teil verzichten.  

Es stellt sich aber die Frage, ob eine solche außergerichtliche Vereinbarung überhaupt wirksam ist. § 3 MiLoG regelt dazu:  

„Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen sind insoweit unwirksam. Der Arbeitnehmer kann auf den entstandenen Anspruch nach § 1 Abs. 1 nur durch gerichtlichen Vergleich verzichten; im Übrigen ist ein Verzicht ausgeschlossen.“

§ 3 S. 1 MiLoG bedeutet, dass ein Arbeitnehmer auf unstreitig entstandene Mindestlohnansprüche nicht verzichten kann. Steht also fest, dass der Arbeitnehmer für die tatsächlich geleistete Arbeit nicht den gesetzlichen Mindestlohn erhalten hat, ist eine Einigung darüber, dass der Arbeitnehmer nur einen Teil der ausstehenden Vergütung erhält unwirksam. Selbst wenn der Arbeitnehmer also eine solche Vereinbarung außergerichtlich unterzeichnet, kann er trotzdem die Differenz, auf die er mit dieser Einigung verzichten würde, gerichtlich einklagen.  

Ein außergerichtlicher Verzicht auf unstreitige Mindestlohnansprüche ist nach § 3 MiLoG unwirksam.

An dieser Stelle kann es allerdings juristisch etwas komplizierter werden. Denn im Rechtssinne wird üblicherweise zwischen einem „Rechtsverzicht“ und einem „Tatsachenvergleich“ unterschieden. Ein Rechtsverzicht ist ein Verzicht auf unstreitig dem Arbeitnehmer nach dem Mindestlohngesetz zustehende Ansprüche. Steht beispielsweise fest, dass ein Arbeitnehmer in einem Monat nur € 1.600,00 brutto erhielt, der Vergütungsanspruch aber auf Grundlage der tatsächlich (unstreitig) geleisteten Stunden auf der Grundlage des Mindestlohns zu einem Anspruch in Höhe von € 2.100,00 brutto führt, kann der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer außergerichtlich keinen Vergleich schließen, wonach er beispielsweise nur € 1.800,00 erhält. Einem solchen Vergleich steht eindeutig § 3 S. 1 MiLoG entgegen.  

Eine andere Frage stellt sich aber, wenn zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer streitig ist, ob der Arbeitnehmer überhaupt mehr Stunden geleistet hat als die, die der Arbeitgeber bisher vergütet hat. Bestreitet der Arbeitgeber also, dass der Arbeitnehmer Mehrarbeitsstunden geleistet hat, geht es um einen Streit über Tatsachen („hat der Arbeitnehmer tatsächlich mehr Stunden als die vertraglich geschuldeten geleistet?“).  

Es stellt sich die Frage, ob § 3 MiLoG auch einen solchen Tatsachenvergleich ausschließt. Fraglich ist also, ob der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer den Streit über den Umfang der tatsächlich geleisteten Zahl der Arbeitsstunden im Rahmen einer Einigung wirksam regeln dürfen. Diese Frage ist höchstrichterlich bisher noch nicht entschieden. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg hat im Urteil vom 20.05.2021 – 21 Sa 638/20 entschieden, dass § 3 S. 1 MiLoG auch sogenannte Tatsachenvergleiche umfasst. Das LAG hält es also nicht für zulässig, dass sich der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer außergerichtlich über den Umfang der streitigen, tatsächlich geleisteten Stunden einigt.  

Nach Auffassung des LAG Berlin-Brandenburg schließt § 3 MiLoG auch sog. Tatsachenvergleiche ein.

Macht ein Arbeitnehmer also geltend, er habe in einem Monat 240 Stunden gearbeitet und ist der Arbeitgeber der Auffassung, der Arbeitnehmer habe nur 170 Stunden gearbeitet, so können die Arbeitsvertragsparteien nach Auffassung des LAG Berlin-Brandenburg keine wirksame außergerichtliche Einigung über den Umfang der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden treffen. Unterschreibt der Arbeitnehmer gleichwohl eine solche Vereinbarung, ist sie unwirksam und er kann trotzdem noch vor Gericht die Differenzvergütung für die von ihm behauptete höhere Arbeitszeit geltend machen.  

Diese Auffassung überrascht, weil sich im Tarifvertragsgesetz eine mit § 3 MiLoG vergleichbare Vorschrift findet und das Bundesarbeitsgericht der Auffassung ist, dass im Rahmen des Tarifvertragsgesetzes Tatsachenvergleiche zulässig sind.  

Diese Ausführungen gelten nur für außergerichtliche Einigungen. Eine Einigung die in einem Streit vor dem Arbeitsgericht erzielt wird, ist demgegenüber wirksam. Das Verbot einer Einigung über den Verzicht auf entstandene Mindestlohnansprüche gilt nach § 3 MiLoG nicht für einen Vergleich vor dem Arbeitsgericht.  
Solange das Bundesarbeitsgericht die Frage ob § 3 MiLoG auch Tatsachenvergleiche umfasst nicht abschließend entschieden hat, kann Arbeitgebern nur geraten werden, außergerichtlich hierüber keine Einigung zu erzielen.  

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