Neue Rechtsprechung des BAG zum Verfall von Urlaub bei Langzeit erkrankten Arbeitnehmern

Veröffentlicht am 08.02.2022 von Dr. Jan Schöll - Kanzlei Dreher + Partner

In den vergangenen Jahren prägten zwei Grundsatzentscheidungen das Deutsche Urlaubsrecht.

Die erste Entscheidung betraf die Frage, ob und wann der Urlaub bei dauerkranken Arbeitnehmern verfällt. Der Gesetzgeber ordnete in § 7 Bundesurlaubsgesetz zunächst an, dass der Urlaub zum Jahresende verfällt, es sei denn, der Arbeitnehmer war an der Inanspruchnahme von Urlaub gehindert. Dann sollte der Urlaub bis zum 31.03. des Folgejahres übertragen werden, jedoch anschließend verfallen. Das Bundesarbeitsgericht legte jedoch § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz unionsrechtskonform aus und entschied, dass Urlaubsansprüche bei Langzeit erkrankten Arbeitnehmern nicht zum 31.03. des Folgejahres verfallen, sondern erst 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres.

Bei Langzeit erkrankten Arbeitnehmern verfällt der Urlaubsanspruch erst 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres.

Eine zweite, ebenso wichtige Entscheidung betrifft eine Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers. Hiervon haben wir bereits berichtet. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, dem Arbeitnehmer im laufenden Urlaubsjahr rechtzeitig vor dem Ende schriftlich mitzuteilen, über wieviel Resturlaubsansprüche er noch verfügt und hat weiter darauf hinzuweisen, dass er die Urlaubsansprüche zu nehmen hat, da sie andernfalls verfallen. Diese Obliegenheitspflicht ist Grundvoraussetzung dafür, dass Urlaubsansprüche, die bis zum Jahresende nicht genommen wurden, verfallen. Kommt der Arbeitgeber dieser Verpflichtung nicht nach, werden die Urlaubsansprüche in das nächste Kalenderjahr übertragen und verfallen nicht mehr.

Sollen Ansprüche bei nicht dauererkrankten Arbeitnehmern zum Jahres-ende oder zum 31.03. des Folgejahres verfallen, trifft den Arbeitgeber eine Obliegenheitspflicht. Er muss den Arbeitnehmer rechtzeitig darauf hin-weisen, dass die Urlaubsansprüche verfallen werden.

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Umstritten war nun, ob diese beiden Entscheidungen auch zusammen Anwendung finden. Anders ausgedrückt ging es um die Frage, ob die Urlaubsansprüche 15 Monate nach Beendigung des Urlaubsjahres bei dauererkrankten Arbeitnehmern verfallen, falls der Arbeitgeber seiner Obliegenheitspflicht nicht nachgekommen ist, also den Arbeitnehmer nicht rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass er die Urlaubsansprüche zum Ende des Jahres nehmen muss, da sie andernfalls verfallen. Das war deshalb umstritten, weil dieser Hinweis des Arbeitgebers bei einem langzeiterkrankten Arbeitnehmer ins Leere geht. Denn der Arbeitnehmer ist aufgrund der Erkrankung ohnehin daran gehindert, den Urlaub zum Jahresende zu nehmen, völlig unabhängig davon, ob der Arbeitgeber ihn darauf hinweist oder nicht. Trotzdem haben Teile der Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass die Obliegenheitspflicht vom Arbeitgeber auch bei dauerkranken Arbeitnehmern Anwendung findet.

Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 07.09.2021 - 9 AZR 3/21 - klargestellt, dass die Obliegenheitspflicht bei einem langzeiterkrankten Arbeitnehmer nicht gilt. Die Urlaubsansprüche des Langzeiterkrankten verfallen deshalb auch weiterhin 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres, ohne dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, den Arbeitnehmer jeweils zum Jahresende darauf hinzuweisen, dass er die Urlaubsansprüche noch nehmen muss. Diese Entscheidung ist ebenso nachvollziehbar wie richtig. Denn wenn es objektiv unmöglich war, den Arbeitnehmer durch die Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers in die Lage zu versetzen, dass er seinen Urlaub in Natur nimmt, würde die Pflicht des Arbeitgebers ins Leere laufen. Auch der Zweck der Obliegenheitspflicht könnte nicht erfüllt werden.

Sollen Ansprüche bei dauererkrankten Arbeitnehmern zum Jahresende oder zum 31.03. des Folgejahres verfallen, trifft den Arbeitgeber KEINE Obliegenheitspflicht.

Das Bundesarbeitsgericht hat aber eine weitere noch offene Frage dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt. Dabei geht es um die Frage, ob die Hinweispflicht des Arbeitgebers bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern einem Verfall der Urlaubsansprüche 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres entgegensteht, soweit der Urlaub betroffen ist, der vor der langfristigen Krankheit entstanden ist. Diese Differenzierung macht wiederum Sinn. Denn bei dieser Fallkonstellation war der Arbeitnehmer im fraglichen Urlaubszeitraum nicht krank, so dass die Hinweispflicht des Arbeitgebers ihren Zweck insoweit erfüllen konnte. Es kann deshalb erwartet werden, dass der Europäische Gerichtshof für diesen Teil des Urlaubs anders entscheiden wird.

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