Pflicht zur Arbeitszeiterfassung - Paukenschlag des Bundesarbeitsgerichtes?! Ja - aber nur ganz leise.

Veröffentlicht am 22.11.2022 von Dr. Ulrich Hörl - Kanzlei Dreher + Partner

Am 13.09.2022 hat das Bundesarbeitsgericht völlig überraschend entschieden, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, ein System einzuführen, mit dem die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten systematisch erfasst werden kann. Ob und welche Konsequenzen es bei einem Verstoß gegen diese Verpflichtung gibt, ist offen.

Im sogenannten Stechuhr-Urteil hatte der Europäische Gerichtshof am 14.05.2019 bereits entschieden, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Arbeitgeber verpflichten müssten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden könne. Ob und welche Konsequenzen dies für das deutsche Arbeitsrecht hat, ist bis heute umstritten. § 16 Abs. 2 ArbZG verpflichtet den Arbeitgeber lediglich, die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 S. 1 ArbZG hinausgehende Arbeitszeit aufzuzeichnen. Das ist die Arbeitszeit, die über 8 Stunden pro Tag hinausgeht. Wer diese Arbeitszeit erfassen möchte, muss andererseits auch wissen, wann die Arbeitszeit begonnen hat, um das Ende zu bestimmen. Gleichwohl gibt es bis heute noch keine ausdrückliche, gesetzliche Regelung dazu, dass auch die ersten acht Stunden erfasst werden müssen.

Das Bundesarbeitsgericht hat den Gesetzgeber mit seinem Urteil überholt, wenn es nunmehr die Arbeitgeber verpflichtet, ein System zur Arbeitszeiterfassung bereitzustellen.

Das Bundesarbeitsgericht hat den Gesundheitsschutz im Blick und begründet seine Auffassung mit § 3 ArbSchG. Diese Vorschrift regelt:

㤠3 Grundpflichten des Arbeitgebers

1. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. Dabei hat er eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten anzustreben …

2. Zur Planung und Durchführung der Maßnahmen nach Abs. 1 hat der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten

1. Für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen …

2. Vorkehrungen zu treffen, dass die Maßnahmen … beachtet werden …"

 

Welche Auswirkungen hat der Beschluss des Bundesarbeitsgerichtes?

Welches System zur Arbeitszeiterfassung der Arbeitgeber zur Verfügung stellen muss, sagt das Bundesarbeitsgericht nicht, überlässt also die Organisation dem einzelnen Arbeitgeber. Daher kommt es auch in Betracht, dass die Arbeitnehmer die Arbeitszeit selbst, z.B. händisch erfassen, sofern der Arbeitgeber sicherstellt, dass dies zumindest stichprobenweise kontrolliert wird. Das System zur Arbeitszeiterfassung muss transparent und nachvollziehbar sein.

Unterlässt der Arbeitgeber ein System zur Arbeitszeiterfassung, könnten Arbeitnehmer einen entsprechenden Anspruch auf Erfüllung geltend machen und für den Fall, dass der Arbeitgeber diesem Begehren nicht folgt, Schadensersatzansprüche geltend machen. Dies setzt aber voraus, dass überhaupt ein Schaden entsteht, was nicht ersichtlich ist. Strafen und Bußgelder hat der Arbeitgeber nicht zu befürchten, da das Arbeitsschutzgesetz für einen derartigen Verstoß dies nicht vorsieht.

Es ist auch nicht zu erwarten, dass das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes den Arbeitnehmern, die Vergütungsansprüche für (angeblich) geleistete Überstunden geltend machen wollen, Einfluss auf die Darlegungs- und Beweislast hat. Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 04.05.2022 - 5 AZR 474/21 unter Bezugnahme auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 14.05.2019 bereits entschieden, dass es dabei bleibe, dass der Arbeitnehmer die Leistung von Überstunden konkret vortragen und die in den betrieblichen Verhältnissen liegenden Ursachen des Überschreitens der Normalarbeitszeit im Einzelnen darzulegen habe einschließlich dessen, dass zur Erledigung der dem Mitarbeiter obliegenden Arbeiten Überstunden erforderlich und damit zumindest konkludent angeordnet waren.

Nach Einschätzung des Unterzeichners wird sich nichts Wesentliches an der bisherigen Rechtslage ändern, solange der Gesetzgeber nicht aktiv wird. Gleichwohl ist Arbeitgebern zu empfehlen, den Vorgaben des Bundesarbeitsgerichtes zu folgen, um der Fürsorgeverpflichtung zu entsprechen.

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